Ab sofort darf Christian Britscho bei Rot Weiss Ahlen in einem Atemzug mit Peter Neururer genannt werden. Beide saßen bei gleich vielen Partien auf der Ahlener Trainerbank und beide können einen Punkteschnitt von 1,70 Zählern vorweisen. Einen Unterschied gibt es jedoch: Einer von beiden verpasste den Aufstieg ganz knapp. Der andere darf sich Aufstiegstrainer nennen. In diesen Tagen endet die Amtszeit von Christian Britscho auch offiziell auf dem Papier. Zusammen mit Co-Trainer Timo Janczak hat der 50-Jährige RWA zurück in die Regionalliga geführt. In unserem großen Abschlussinterview verabschieden wir uns von Christian und blicken auf zwei intensive Spielzeiten mit ihm als Cheftrainer zurück:
Christian, nach rund 50 Pflichtspielen verabschiedest du dich als Aufstiegstrainer von uns. Hättest du bei deinem Amtsantritt gedacht, dass ein Aufstieg schon in deiner zweiten Saison möglich wäre?
„Gefühlt waren es doppelt so viele Spiele. Das liegt vermutlich daran, dass es wirklich eine sehr intensive Zeit war. Der Aufstieg in dieser Saison kam für mich und die meisten anderen jedoch völlig unerwartet. Das war so vor einem Jahr nicht vorhersehbar und auch wir haben nicht mit einem möglichen Aufstieg gerechnet, doch mit dieser coolen Truppe war dieser Erfolg tatsächlich möglich.“
Gab es im Laufe der Saison ein spezielles Ereignis, bei dem dir bewusst wurde, dass mit dieser Mannschaft ein solcher Erfolg möglich erscheint?
„Im vergangenen Herbst das Auswärtsspiel bei der U21 aus Paderborn. Dieses Spiel war für mich eine Art Reifeprüfung gegen die spielstärkste Mannschaft, die ich in dieser Saison erlebt habe. In diesem Spiel, eine echte Regenschlacht, haben wir sehr leidenschaftlich und kämpferisch großartig gespielt. In diesem Spiel sah ich was für uns möglich ist, wenn wir in dieser Form als Team zusammenhalten. Als wir dort gewonnen haben, man muss sagen absolut verdient, wusste ich, dass wir fortan jeden Gegner besiegen können.“
Was waren damals zum Amtsantritt deine Vorstellungen und Erwartungen an die Aufgabe bei Rot Weiss Ahlen?
„Meine Erwartungshaltung ging dorthin, dass wir Jahre brauchen werden, um eine Mannschaft aufzubauen, die um den Aufstieg mitspielen kann. Diese Aufgabe bei einem Verein wie RWA fand ich damals sehr reizvoll und umso erfreulicher war es dann, dass innerhalb so kurzer Zeit so viele Zahnräder ineinandergreifen konnten und vieles absolut positiv verlief.“
Du bist vor dem Training manchmal mit dem Auto noch durch Ahlen gefahren und hast dir die Stadt und die Menschen angesehen. Warum?
„Für mich war es wichtig zu verstehen was dieser Klub für die Menschen in der Stadt bedeutet. Das geht nur, wenn du dir ein Bild davon machst, auch außerhalb des eigenen Umfelds und des Stadions, wie die Menschen ticken, welche Rolle der Verein in der Stadt spielt und wie wichtig Rot Weiss Ahlen doch letztendlich für diese Stadt und die Außenwirkung ist. Und genau das wollte ich immer mal wieder aufsaugen und erfahren.“
Als kürzlich offiziell bestätigt wurde, dass wir durch den Saisonabbruch definitiv aufsteigen: Wo und wie hast du davon erfahren und was war deine erste Reaktion?
„Als die Nachricht veröffentlicht wurde war ich zuhause und habe auf mein Handy geschaut, wo unser Kapitän Hotte die Nachricht in unsere Mannschaftsgruppe geschrieben hat. Danach war die Freude natürlich riesengroß und wir haben uns spontan dazu verabredet, den Aufstieg in kleiner und gemütlicher Runde in Ahlen zu feiern.“
Während deiner Amtszeit waren 24 Stunden am Tag kaum ausreichend. Nachmittags ging es nach der Arbeit für dich von Bochum nach Ahlen und spät abends warst du erst wieder zuhause. Dazu die Vor- und Nachbereitung der Trainingseinheiten und Spiele. Wie belastend war diese Zeit nun im Rückblick wirklich für dich mit all dem Aufwand, um Trainer bei RWA sein zu können?
„Es war wirklich aufreibend und solch einen Aufwand betreibt man nur, wenn der Verein dich packt und das war bei Rot Weiss Ahlen von der ersten Sekunde an der Fall. Timo Janczak und ich wollten diesen Weg mit RWA gehen und haben entsprechend viel dafür investiert. Auf Dauer wären unsere Akkus aber nahezu leer gewesen, denn wie schon erwähnt, waren wir täglich viele Stunden mit der Arbeit für den Verein beschäftigt und diese Zeit war zwar wunderschön aber auch unfassbar intensiv.“
Vom ehemaligen Profiklub Ahlen geht’s für dich beim ehemaligen Profiklub Wattenscheid weiter. Wie weit ist in Zukunft deine Anreise zum Training und gibt es aus deiner Sicht Parallelen zwischen beiden Vereinen?
„Es gibt viele Parallelelen zwischen diesen Klubs. Wattenscheid und Ahlen sind beide vom Bergbau geprägt und von Menschen, die ehrliche und harte Arbeit schätzen. An beiden Orten ist der Fußball für viele Menschen ein wichtiges Ventil. Beide Vereine haben eine erfolgreiche Historie und gleichzeitig sind beide nicht in einer Lage, wo man behaupten könnte, dass den Klubs dauerhaft die Sonne aus dem Allerwertesten scheint. Die Lage in Wattenscheid ist bekannt und Ahlen hatte auch viele schwere Jahre hinter sich. Wir haben in Ahlen mit überschaubaren Mitteln außerordentlich viel erreicht und das zeigt, dass der finanzielle Aspekt eines Vereins zwar unheimlich wichtig ist, doch manchmal kann man auch mit dem richtigen Team alles erreichen. Übrigens, die Anreise zum Training verkürzt sich für mich um rund 90 Kilometer. Ich muss gestehen und jeder wird es nachvollziehen, dass das eine unheimliche Entlastung ist.“
Es gab während deiner Zeit bei uns einige denkwürdige Begegnungen. Welches sind deine Top 3 der besonderen Spiele?
„Ich erhöhe das einmal auf meine Top 5. Dazu gehört unser Sieg in Herne in meiner ersten Saison, als Cihan Yilmaz das Spiel nach seiner Einwechslung auf unnachahmliche Art und Weise fast im Alleingang entschieden hat. Ich weiß, dass ich ihn damals tief getroffen habe, als er beim Spiel in seiner Stadt nicht in der Startelf stand, doch wie er darauf reagiert hat und damit umgegangen ist, das war beeindruckend. In Erinnerung bleibt mir auch unser 1:0-Sieg in Hamm in der Nachspielzeit, als Philipp Grodowski an seinem Geburtstag kurz vor Beginn der Nachspielzeit in die Partie kommt und in allerletzter Sekunde den Ball ins Netz knallt. Das war eine Gefühlsexplosion für alle und als die Fans nach dem Spiel für Grode noch Happy Birthday gesungen haben, war das ein ganz spezieller Moment. Nicht vergessen werde ich auch die 2:6-Niederlage gegen Erndtebrück, wo wir zu Beginn der zweiten Halbzeit noch 2:1 vorne lagen und uns danach alle paar Minuten der Ball ins Tor geflogen ist. Das war ein besonderes Erlebnis und eine Erfahrung der anderen Art, doch auch das gehört bei einem Rückblick für mich dazu. Dann noch der bereits angesprochene Sieg in Paderborn und natürlich unser letztes Spiel in Wiedenbrück.“
War dir die tatsächliche Bedeutung vom letzten Spiel, dem 1:0-Sieg in Wiedenbrück, damals schon bewusst oder wann wurde dir klar, welche Rolle diese Partie einnehmen würde?
„Die finale Bedeutung dieses Spiels war uns in dem Moment natürlich noch nicht klar. Nach diesem Abend hatten wir aber alle die Erkenntnis, sollte die Saison fortgesetzt werden, wird es für jedes Team verdammt schwer gegen uns. Nach diesem Erlebnis hatten wir eine so breite Brust, dass es, da bin ich absolut überzeugt, kaum möglich gewesen wäre, uns auf dem Weg Richtung Aufstieg noch zu stoppen.“
Auf unserer Favoritenliste steht noch das Kreispokalspiel in Wadersloh ganz weit oben. Zur Erinnerung: Wir gingen damals in der Nachspielzeit in Führung, kassierten umgehend den Ausgleich, schleppten uns mit phasenweise sieben Feldspielern durch die Verlängerung, hatten Ersatzkeeper Rene Grabowski vorne im Sturm und kamen am Ende im Elfmeterschießen weiter. Bleibt das als verrücktestes Spiel deiner Trainerlaufbahn in Erinnerung?
„Das war wirklich das verrückteste Spiel, das ich als Trainer je erlebt habe. Da hatte der Pokal mehr als seine eigenen Gesetze. Als neutraler Beobachter sind solche Spiele echte Highlights, doch als Beteiligter selbst daran teilzunehmen war mehr als nervenaufreibend und das brauche ich in dieser Form sicherlich nie wieder.“
Zum Abschluss würden wir gerne noch wissen ob es eine besondere Story aus dem Nähkästchen gibt, die du hier verraten kannst. Ein besonderes Erlebnis mit der Mannschaft oder einem der Spieler.
„Es gibt nicht das eine spezielle Ereignis, sondern es waren eher die vielen offenen und ehrlichen Gespräche mit den Spielern oder den Fans. Exemplarisch kann ich vielleicht das persönliche Gespräch mit Bernd Schipmann nennen. Seine erste Saison in Ahlen war für ihn ein Rückschlag. Er hatte keine gute Saison und entsprechend auch kaum Rückendeckung der Zuschauer. Eigentlich war allen klar, dass sich die Wege nach nur einem Jahr trennen würden, doch dann haben wir uns zusammengesetzt und offen darüber geredet. Ich habe gespürt, dass Bernd hier noch nicht fertig war und unbedingt die Kurve kriegen wollte und aus dieser Überzeugung heraus haben wir seinen Vertrag verlängert. Wie er sich danach in dieser Saison entwickelt hat muss glaube ich nicht erwähnt werden. Nach diesem Gespräch hat er uns alle so positiv überrascht, das war für mich sehr besonders und emotional. Auch Bernd Schipmann hatte letztendlich einen ganz großen Anteil an diesem Aufstieg.“
Als du deinen 50. Geburtstag im letzten Winter mit der Mannschaft gefeiert hast, sind dort sicherlich auch noch einige unterhaltsame Geschichten entstanden…
„Eines kann ich versichern: Was meinen Geburtstag betrifft, so kann ich schweigen (lacht). Klar ist aber, dass an diesem Abend Anekdoten entstanden sind, mit denen man ganze Bücher füllen könnte.“
Ganz am Ende möchten wir dir keine Frage mehr stellen, sondern die letzten Zeilen gehören dir und deinen Worten, die du als Aufstiegstrainer noch loswerden möchtest:
„Ich bin stolz und dankbar ein Bestandteil dieses Vereins gewesen zu sein. Wir sind innerhalb kurzer Zeit von einem abstiegsbedrohten Oberligisten zu einem künftigen Regionalligisten geworden und dafür muss, wie ich schon mehrfach erwähnt habe, vieles passen. Vor allem menschlich muss vieles passen. Man braucht eine ganz besondere Mannschaft und auch ein Team hinter dem Team und hier sind vor allem die glorreichen Sieben zu nennen. Unsere drei Teambetreuer um Erbse, Edgar und Marci. Dazu kommen unser Torwarttrainer Klaus, Tobi sowie natürlich Matze und Timo als mein Co-Trainer. Ohne diese helfenden Hände wäre dieser Erfolg für uns nicht umsetzbar gewesen. Ich habe auch größten Respekt vor der Arbeit vieler Menschen, die hinter den Kulissen das ganze Jahr über für den Verein bereitstehen, mit anpacken und auch uns als Mannschaft immer wieder geholfen haben. Etwa die Mitglieder des Fanclubs „Fans on Tour“, die sich sehr für diesen Verein engagieren, was wir alle im Team immer sehr genau wahrgenommen und bewundert haben. Auch den Verantwortlichen des Vereins danke ich, dass man mir und meinen Helfern das Vertrauen ausgesprochen hat und das auch in Phasen, in denen wir zwischenzeitlich wieder durch ein tiefes Tal gegangen sind. Und dann danke ich natürlich meinen Spielern. Diese geile Truppe hat wie das A-Team alles aus dem Weg geräumt und ohne diesen Zusammenhalt und Willen wäre es für uns alle eine mittelmäßige Saison geworden. Und dann möchte ich noch meiner Familie danken, dass ich diese verrückte und familienunfreundliche Zeit mit solch einem Rückhalt angehen durfte. Ganz zum Schluss aber möchte ich allen Menschen in Ahlen noch eine Sache sagen, denn vielen in dieser Stadt ist gar nicht bewusst, welche Strahlkraft dieser Verein nach wie vor hat. Außerhalb der eigenen Stadtgrenzen wird RWA viel positiver wahrgenommen als es leider in Ahlen selbst der Fall ist. Ihr habt hier in eurer Stadt einen Verein, der euch in der kommenden Saison wieder Fußball in der Regionalliga zeigt, der sehr auf die Jugendarbeit und Ausbildung junger Menschen aus der Umgebung baut und es sollten endlich wieder mehr Menschen den Weg ins wunderschöne Wersestadion finden, denn viele größere Städte können von solch einem Fußballverein nur träumen. Außerdem bin ich fest davon überzeugt, dass diese Mannschaft den Klassenerhalt in der Regionalliga schaffen wird. Bleibt gesund und wir werden uns sicherlich noch einige Male über den Weg laufen.“ #nurgemeinsam